Darf man an einem Müllabfuhrfahrzeug vorbeifahren?

Ein Pflegedienst klagt gegen einen Abfallwirtschaftsbetrieb auf Schadensersatz.

Eines seiner Fahrzeuge wurde bei einem Verkehrsunfall beschädigt. Eine Mitarbeiterin fuhr in entgegengesetzter Richtung an einem Müllabfuhrfahrzeug vorbei. Dieses stand mit laufendem Motor, laufender Schüttung und eingeschalteten gelben Rundumleuchten sowie Warnblinkanlage in der Straße. Dabei kollidierte das Fahrzeug mit einem Müllcontainer, den einer der Müllwerker hinter dem Müllabfuhrfahrzeug quer über die Straße schob.

Der Pflegedienst verlangte mit seiner Klage die vollständige Erstattung der Reparaturkosten.

Nachdem das Landgericht den Abfallwirtschaftsbetrieb mit einer Haftungsquote von 50 % verurteilte, erhöhte das Oberlandesgericht (OLG) die Haftungsquote auf 75 %. Der Bundesgerichtshof (BGH) hob das Urteil auf. Das OLG muss nun neu entscheiden, wofür der BGH auf folgendes hinwies:

Die Müllwerker, die für das Holen, Entleeren und Zurückbringen von Müllcontainern zuständig seien, konzentrierten sich hauptsächlich auf ihre Arbeit auf der Straße. Wenn man an einem Müllabfuhrfahrzeug vorbeifahre, dürfe man nicht uneingeschränkt auf ein verkehrsgerechtes Verhalten der Müllwerker vertrauen. Man müsse vielmehr damit rechnen, dass Müllwerker unachtsam einige Schritte vor oder hinter dem Müllabfuhrfahrzeug in den Verkehrsraum treten könnten, bevor sie sich über den Verkehr vergewissern.
Wenn es nicht möglich sei, einen ausreichenden Abstand zum Müllabfuhrfahrzeug zu halten, um die Gefahr eines plötzlich auftauchenden Müllarbeiters zu vermeiden, müsse die Geschwindigkeit so weit reduziert werden, dass der Fahrer sein Fahrzeug notfalls sofort zum Stehen bringen könne.

Die Fahrerin sei hier mit einer Geschwindigkeit von 13 km/h und einem Seitenabstand von maximal 50 cm zum Müllabfuhrfahrzeug gefahren, weshalb sie das Fahrzeug nicht sofort zum Stehen bringen konnte.

Es ist daher damit zu rechnen, dass die Haftungsquote des Abfallwirtschaftsbetriebs im nächsten Urteil deutlich reduziert wird und der Pflegedienst einen höheren Teil der Reparaturkosten selbst tragen muss.


Florian Striedter

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Familienrecht