Die Geltung des Vorfahrtsrechts

Folgender Sachverhalt:
Auf einer Kreuzung kam es zwischen zwei Fahrzeugen zu einem Verkehrsunfall. Eine Fahrzeugführerin wollte nach rechts in eine Vorfahrtsstraße einbiegen. Zur gleichen Zeit setzte auf der Vorfahrtstraße eine Fahrerin zum Überholvorgang der vor ihr stehenden Fahrzeuge an. Unter Missachtung der durchgehenden Linie und einer Sperrfläche überholte das auf der Vorfahrtstraße fahrende Fahrzeug mit einer Geschwindigkeit von 50 km/h. Dabei nutzte es einen Teil der Fahrbahnfläche für den Gegenverkehr aus. Im Kreuzungsbereich kam es schließlich zur Kollision mit dem Fahrzeug der rechts abbiegenden Fahrerin. Die überholende Fahrerin klagte schließlich auf Zahlung von Schadensersatz.

Das Gericht entschied zum Teil zu Gunsten der Klägerin:
Dieser stehe unter Beachtung eines hälftigen Mithaftungsanteils ein Anspruch auf Schadensersatz zu. Der Beklagten sei, so die Auffassung des Gerichtes, ein Vorfahrtsverstoß zur Last zu legen. Das Vorfahrtsrecht der Klägerin habe sich auf die gesamte Fahrbahnbreite erstreckt und sei nicht durch deren verkehrswidriges Überholen entfallen. Andererseits habe die Beklagte darauf vertrauen dürfen, dass bei einer ununterbrochenen Mittellinie nicht unter Inanspruchnahme der Gegenfahrbahn überholt wird. Nach Auffassung des Gerichtes habe die Klägerin verbotswidrig unter Überfahren der ununterbrochenen Mittellinie und der Sperrfläche die wartende Fahrzeugkolonne überholt. 

Fazit:
Das Vorfahrtsrecht erstreckt sich somit auf die gesamte Fahrbahnbreite und entfällt bei einem verkehrswidrigen Überholen nicht.


Bernhard Schliesser

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verkehrsrecht