Menschenunwürdige Arbeitsbedingungen

Ein Sieg vor Gericht macht Arbeitnehmer nicht immer froh. Hierzu ein kurioser Fall:

Eine Arbeitnehmerin hatte eine Kündigungsschutzklage nach 16 Jahren Betriebszugehörigkeit gewonnen. Danach musste sie nach ihrer Rückkehr ins Arbeitsverhältnis zunächst in einem verschimmelten und verdreckten Keller bei 11 Grad Celsius arbeiten. Sie musste sich auch offensichtlich unstreitige Ansprüche wie Urlaubsentgelt erstreiten. Später musste sie von ihrem Büro aus über den Hof schwere Unterlagen tragen, um die ihr angewiesenen Archivarbeiten zu bewältigen, obwohl es einen weniger anstrengenden Zugang zum Archiv gegeben hätte.

Sie soll sich dann über den Geschäftsführer geäußert haben, dass der Flur nach ihm stinke. Sie habe die Mitarbeiterin .... als „fette ...", eine Kollegin als  „blöde ..." bezeichnet und im Hinblick auf eine andere Mitarbeiterin geäußert „die latscht und pfeift wie ein Kerl über den Flur.“

Deswegen hat sie fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses ereilt, ohne vorherige Abmahnung. Zu Recht?

Nein, wer nämlich unter demütigenden und schikanösen Arbeitsbedingungen leidet, der kann in einer solchen Situation auch über das Ziel hinausschießen und die Grenzen des Anstands überschreiten. Dann darf nicht ohne vorherige Abmahnung gekündigt werden. Für die Arbeitnehmerin spricht nämlich die emotional außergewöhnliche Situation, zudem ihre lange Betriebszugehörigkeit und ihr Lebensalter (vgl. LAG Thüringen, Urt. vom 29.06.2022 – 4 Sa 212/21).


Dr. Werner Wengenroth

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht